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Mobiles Theater bringt Kleist-Klassiker ans GTO

    Ein Boden mit aufgemaltem Riesenauge, darauf eine Amtsstube aus Leitz-Ordnern – und mittendrin ein korrupter Richter, der sich in seine eigenen Lügen verheddert. Mit dieser minimalistischen, aber irkungsvollen Inszenierung brachte THEATERmobileSPIELE aus Karlsruhe Heinrich von Kleists „Zerbrochnen Krug“ auf die Bühne im GTO.

    Die Geschichte ist zeitlos. Der (macht)gierige, sich selbst überschätzende, lüsterne und skrupellose Richter Adam ist der Schnittpunkt des herrschaftlichen Machtmissbrauchs. Als frauenverachtender Genussmensch ist er zugleich Handlanger und Profiteur der patriarchalen, chauvinistischen Ordnung. Dabei verstrickt er sich bei einem, durch sich selbst gegen sich geführten, Prozess um einen von ihm zerbrochenen Krug zunehmend in seinem eigenen Lügengespinst und muss am Ende fliehen.

    Im Eventraum des Ganztagsgymnasiums Osterburken fand vor 74 Schülerinnen und Schülern der Oberstufenjahrgänge des GTO eine vom THEATERmobileSPIELE (Karlsruhe) inszenierte, gegenüber dem Originaltext auf die Hälfte gekürzte, 75-minütige Aufführung des berühmten „Zerbrochnen Krugs“ von Heinrich von Kleist statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von den Deutschlehrern Oliver Schroeder und Sven Auerbach.

    Leitz-Ordner werden zur Amtsstube

    Ein Schauspielerduo, bestehend aus Petra Ehrenberg und David Lison und eine aus Leitz-Ordnern fantasievoll choreographierte Amtsstube sind platziert auf einem großen, offenen Auge auf einem Teppich. Stück für Stück wird dieses Konstrukt nun demontiert. Es ist Adam, der die Szenerie beherrscht, aber es sind Frauen, die ihn zu Fall bringen. Oder nicht? Letztlich leidet nur Eve, das Objekt von Adams lüsternen Nötigungen, die (selbstverständlich) unbestraft bleiben. Es kommt zu keiner Revolution. Das System bleibt erhalten, das Volk ein Spielball. Und das Stück bleibt brandaktuell.
    Das Teppichauge sieht alles. Wie der blinde Seher Theiresias in Sophokles‘ Tragödie „König Ödipus“, zu dem Parallelen unverkennbar sind. Die Griechen kannten ihren heiligen blinden Seher, der als einziger die Welt hinter der Welt durchschaut. Aber wann durchschauen die Dorfbewohner und die Zuschauer Adams mieses Spiel?

    Korruption und Machtmissbrauch

    Zwischen Adam und Ödipus gibt es Parallelen. Adam verstrickt sich im Versuch, vor seiner Schuld und Verantwortung zu fliehen und wird letztlich von dieser eingeholt. Gleiches gilt in ähnlicher Weise für Ödipus. Nur er war nicht von Beginn an schuldig. Der titelgebende Krug, um den es (der egozentrischen Marthe) geht, ist im Grunde irrelevant und doch zugleich Sinnbild für die in sich gebrochene, patriarchale, unfreie und undemokratische Gesellschaft, die in ihr wüst verletzte weibliche Unschuld und zugleich der Aufhänger für den (Selbst)-Prozess. Auf dessen Scherben steht im übertragenen Sinne Adams Name, der nicht umsonst – als Protagonist des „Sündenfalls“ – seinem biblischen Namensvetter nachgeahmt ist.
    Im anschließenden Gespräch mit den beiden Schauspielern aus Karlsruhe stellten zahlreiche Schülerinnen und Schüler, für die „Der Zerbrochene Krug“ im kommenden Jahr auch Abiturthema sein wird, interessierte Fragen zu Choreographie, Umsetzungsintention und zur Arbeit der THEATERmobileSPIELE an die beiden Schauspieler.

    Kreative Inszenierung mit zwei Schauspielenden

    Eine choreographische Herausforderung stelle die Notwendigkeit der gleichzeitigen Präsenz vieler Figuren in Echtzeit bei nur zwei wirklichen Schauspielern dar, so die beiden Akteure. Vor allem Adam, aber auch Walter und Licht werden in Realitas, letztere gegebenenfalls durch Zuhilfenahme eines Fernsehers dargeboten. Rupprecht, Veit, Eve und Marthe erscheinen überwiegend als eigens hergestellte Puppen. Diese werden von den Schauspielern, die in gewisser süffisanter Weise auch damit schemenhaft die dahinter stehende allgegenwärtige Obrigkeit repräsentieren, bedient. Unterstützt wird die Choreographie mit Lautsprechern und einer fein eingebundenen Dosensprechanlage. Die gegen Ende von Adam selbst quer über die Szenerie gespannte rote Schnur sei nicht nur eine Reminiszenz an die Tätersuche alter Kriminalfilme, sondern versinnbildlicht die beginnende Verfolgung des schurkischen Richters und seine zunehmend rettungslose Selbstverwicklung, so Petra Ehrenberg. Die während der Inszenierung gezeigten Fernsehsequenzen ermöglichen eine im Kern ungekürzte Darbietung des Stücks, sichern aber auch die künstlerische Freiheit der Protagonisten. Der eigentlich zu erwartende große Tumult am Ende unterbleibt. Dieser sei in dieser Konstellation kaum darstellbar. Das Fehlen der Hinterbühne und der Bühnentechnik erzwinge zudem einen Erhalt der Kulisse, so David Lison. Das Gerüst wurde durch einen Schlossermeister des Staatstheaters Karlsruhe konstruiert. Eine Kostümschneiderin aus dem Nationaltheater Mannheim passte die Kostüme an. Puppenbauer gestalteten in enger Absprache mit dem Regisseur und den Bühnenbildern die verschiedenen benötigten Puppenfassungen. Verantwortlich für die Ausstattung ist Marcus Stiefel-Dürr.
    Da das private Theater nicht anderweitig gefördert wird, wird das Equipment und die Zahl der Schauspieler so klein wie möglich und so groß wie nötig gehalten. Insgesamt waren siebenwöchige Proben nötig.

    Szene aus dem Theaterstück "Der zerbrochene Krug"

    THEATERmobileSPIELE ist ein freies, in ganz Baden-Württemberg und Hessen agierendes Karlsruher Profi-Theater unter der Regie von Thorsten Kreilos, das sich ausschließlich mobilen Theaterproduktionen widmet. Ein Aufgabenfeld ist dabei das Klassenzimmertheater. Das Theater kommt direkt in die Schule, ins Klassenzimmer, wo es im gewohnten Umfeld der Schüler auftritt. Diese besonders intime Spielsituation ist im Sinne von ästhetischer Bildung bestens dafür geeignet, einen alltäglichen Funktions- und Lebensraum mit neuen Blickwinkeln auf die Welt aufzuladen und fantasievoll in einen fiktionalen Raum zu verwandeln.

    Die Aufführung kam auf beiden Seiten an. Die Schauspieler zeigten sich von den Diskussionsbeiträgen der Schülerinnen und Schüler begeistert. Und die Schülerinnen und Schüler von der gelungenen künstlerischen Darbietung.

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